EU-Lieferkettengesetz: Deutsche Wirtschaft kritisiert Einigung scharf
Nach wochenlangen Debatten haben sich die EU-Länder auf ein gemeinsames Lieferkettengesetz geeinigt. Eine Mehrheit der Staaten nahm die abgeschwächte Richtlinie am Freitag in Brüssel an, wie der belgische Ratsvorsitz im Onlinedienst X mitteilte. Deutschland wurde überstimmt: Wegen Widerstands aus der FDP musste sich die Ampel-Koalition enthalten. Die deutsche Wirtschaft kritisierte die EU-Regeln als "Rückschlag", aber auch Befürworter zeigten sich ernüchtert.
Mit dem EU-Lieferkettengesetz müssen Unternehmen künftig europaweit dokumentieren, dass von ihnen importierte Produkte aus Drittländern dort nicht zu Kinderarbeit oder Umweltschäden führen. Auf Druck mehrere Länder gelten die neuen Regeln nun für weniger Unternehmen als zunächst geplant - laut Diplomaten sollen sie ab tausend Angestellten und einem Jahresumsatz von mindestens 450 Millionen Euro greifen. Zudem vereinbarten die Länder längere Umsetzungsfristen.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) begrüßte den Durchbruch: "Das ist gut für die Menschenrechte und die deutsche Wirtschaft, denn dadurch schaffen wir faire Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen in Europa", erklärte er in Berlin.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sprach dagegen von einem "weiteren Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit". BDI-Präsident Siegfried Russwurm erklärte, die Richtlinie bürde Unternehmen "uneinlösbare Pflichten auf, die einen enormen bürokratischen Aufwand verursachen". "Das Ergebnis ist kein Sieg für die Menschenrechte, sondern ein Sieg für die Bürokratie", erklärte auch der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Dirk Jandura.
In Deutschland gilt seit dem vergangenen Jahr bereits ein nationales Lieferkettengesetz. Die deutsche Industrie und die FDP sehen das EU-Vorhaben vor allem kritisch, weil es die Haftungsregeln für Unternehmen verschärft.
Die FDP im Bundestag reagierte verärgert auf die Einigung. FDP-Vizefraktionschef Christoph Meyer sagte der Nachrichtenagentur AFP, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) sei "Regelungswut wichtiger (...) als das wirtschaftliche Wohl der Mitgliedstaaten". Die Kommission hatte das Gesetz im Februar 2022 vorgeschlagen.
Bei den Befürwortern des Lieferkettengesetzes stieß die Einigung auf ein verhaltenes Echo. Die Menschenrechtsorganisation Oxfam sprach von einem "Meilenstein mit Abstrichen". Wichtige Punkte seien auf der Zielgeraden verwässert worden, "um Großkonzerne zu schützen". Die Umweltorganisation BUND bemängelte, der Prozess erzeuge "Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit und Verlässlichkeit der Bundesregierung".
Die Mitgliedsländer und das Europaparlament hatten sich bereits vergangenes Jahr auf das Lieferkettengesetz geeinigt, die abschließende Zustimmung der beiden Institutionen galt eigentlich nur noch als Formsache. Die FDP erklärte dann aber überraschend, die EU-Regeln seien "unzumutbar für kleine und mittelständische Unternehmen", weshalb die "Ampel" ihre Zustimmung zurückziehen musste.
Die nötige EU-Mehrheit kam nun vor allem deshalb zustande, weil Italien seinen Widerstand gegen die Richtlinie aufgab. Rom erreichte laut Diplomaten Zugeständnisse bei einer Verpackungsverordnung für mehr Recycling, die die EU-Länder nun ebenfalls mehrheitlich annahmen. Dieser Verordnung stimmte Deutschland zu, wie ein Sprecher des Bundesumweltministeriums in Berlin mitteilte.
Die Verpackungsverordnung bringe der deutschen Verpackungs- und Recyclingindustrie einen "gewaltigen Fortschritt" bei der Bewältigung des Plastikmülls und beim Einsatz von Mehrwegverpackungen, sagte der Ministeriumssprecher in Berlin.
Deutschland habe "Kompromisse" machen müssen, die Bundesregierung stehe aber nun geschlossen dazu, hieß es zu anfänglichen Bedenken der FDP. Deutschland hielt nach Brüsseler Angaben allerdings in einer Protokollnotiz fest, das Gesetz dürfe keine "Handelshemmnisse" schaffen.
Mit der Lieferketten-Einigung kassiert die FDP bereits die zweite Niederlage in Brüssel binnen einer Woche. Am Montag hatten die EU-Länder bereits ein von den Liberalen abgelehntes Gesetz zur Plattformarbeit angenommen. Es gibt Beschäftigten von Taxidiensten wie Uber oder Essenslieferanten bei Deliveroo oder Bolt mehr Rechte.
Für die Gesetze stimmten die Mitgliedsländer jeweils mit einer qualifizierten Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten, die zusammen für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen.
C.Grillo--PV