Institute senken Wachstumsprognose drastisch ab - Kritik an der Bundesregierung
Die führenden Wirtschaftsinstitute des Landes haben ihre Wachstumserwartungen für das laufende Jahr drastisch abgesenkt und scharfe Kritik an der Ampel-Regierung geübt. Im laufenden Jahr sei nur noch mit einer Zunahme der Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent zu rechnen, heißt es im sogenannten Frühjahresgutachten der Institute. Im Herbst hatten sie noch 1,3 Prozent Wachstum prognostiziert. Ein Faktor dabei ist demnach der unklare Kurs der Bundesregierung.
Das im Herbst erwartete "Anziehen der Wirtschaftsleistung ist ausgeblieben", sagte Stefan Kooths vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung des Gemeinschaftsgutachtens. "Außen- wie binnenwirtschaftlich gab es mehr Gegen- als Rückenwind."
Inländisch hob Kooths einen weiterhin "stark erhöhten Krankenstand" hervor, der die Produktivität spürbar beeinträchtige. Außenwirtschaftlich seien die Exporte gesunken, obwohl die Weltwirtschaft sich besser entwickelt habe. Grund dafür sei zum einen die schwache Nachfrage nach Investitionsgütern sowie die gesunkene "preisliche Wettbewerbsfähigkeit" deutscher Unternehmen. Insbesondere bei energieintensiven Produkten habe es Produktionsverlagerungen ins Ausland gegeben.
Torsten Schmidt vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung kritisierte insbesondere die Subventionspolitik von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Mit staatlichem Geld die Ansiedelung von Unternehmen zu erreichen, sei der "falsche Weg". So werde keine Planungssicherheit für Unternehmen geschaffen, die Politik müsse stattdessen die Rahmenbedingungen für Investitionen schaffen.
Kooths bemängelte, dass die Koalitionäre sich bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht einig seien und es deshalb an einer klaren Ausrichtung fehle. Dies sei ein maßgeblicher Faktor dafür gewesen, dass die Unternehmensinvestitionen im vierten Quartal so stark eingebrochen seien. Deutlich weniger stark ausgewirkt habe sich hingegen das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts.
Die Bedeutung der teils heftig geführten Debatte um eine mögliche Aufweichung der Schuldenbremse relativierten die Forscher. Zwar empfahlen sie eine "behutsame Reform" der Schuldenregeln. Konkret erscheine es sinnvoll, im Fall einer wirtschaftlichen Notlage und Aussetzung der Schuldenbremse nicht gleich im darauf folgenden Jahr eine Rückkehr zur strikten Haushaltsdisziplin vorzuschreiben.
Eine Reform der Schuldenbremse sei jedoch "kein Allheilmittel", betonte Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Ihre Grundaufgabe, nämlich die Stabilisierung der Staatsfinanzen, erledige die Regelung. Starke Hinweise dafür, dass die Schuldenbremse die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands bremse, gebe es hingegen nicht.
Als wichtigste Handlungsfelder für die Wirtschaftspolitik identifizierten die Forscher stattdessen die Demographie und den Fachkräftemangel, die Digitalisierung sowie die Transformation der Wirtschaft hin zu einer klimafreundlichen Produktion. "In allen diesen Bereichen haben wir große Probleme", sagte Holtemöller.
Beim Thema Fachkräftemangel betonte Kooths, dass der Beschäftigungsaufbau zuletzt "ausschließlich" der Nettozuwanderung zu verdanken sei. Der positive Effekt "wird allerdings durch die insgesamt geringere Produktivität der Zuwanderer abgeschwächt", fügte er hinzu. Insbesondere bei Geflüchteten entspreche das "Qualifikationsniveau" häufig nicht dem Bedarf der Arbeitgeber. Es brauche daher "Anreize für eine höher qualifizierte Zuwanderung".
Wirtschaftsminister Habeck sieht trotz allem "beste Voraussetzungen" für eine baldige Erholung: "Energiepreise und Inflation haben sich beruhigt, intensiv arbeiten wir am Bürokratieabbau, die Türen für Fachkräfte haben wir weiter geöffnet, die Energiewende kommt solide und planmäßig voran." Wichtig seien auch die steigenden Reallöhne.
Die Institute erwarten in diesem Jahr einen Anstieg der Verbraucherpreise um 2,3 Prozent und um 1,8 Prozent im kommenden Jahr. Zugleich gehen sie von einer Zunahme der Verdienste um 4,6 Prozent und dann 3,4 Prozent aus. "Damit nehmen die Reallöhne über den gesamten Prognosezeitraum zu und holen die Verluste aus dem Jahr 2022 und dem ersten Halbjahr 2023 langsam wieder auf."
Auch deshalb avanciere besonders im Jahr 2024 der private Konsum zur wichtigsten Stütze der deutschen Wirtschaft. Im Jahr 2025 dürfte dann der Außenhandel diese Rolle wieder übernehmen. Neben IfW, RWI und IWH waren an der Gemeinschaftsdiagnose in diesem Jahr noch das Kiel Institut für Weltwirtschaft und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin beteiligt.
F.M.Ferrentino--PV